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l%C3%BCdecke-a8699a43?trk=profile-badge">Volker Lüdecke

8.5.25

KULTURSTREIK IN BERLIN


Der Rücktritt des Berliner Kultursenators Joe Cialo brachte die desaströse Kulturpolitik des Berliner Senats kurzfristig zurück in die News.

Angesichts der Einsparungen von 130 Millionen Euro im Kulturetat 2025 ist sein Rücktritt immerhin eine konsequente Entscheidung, die Respekt verdient.

Die aber insgesamt träge Aufmerksamkeit auf dieses Thema offenbart die grundlegenden Fehler auf Seiten der politisch Verantwortlichen und auf Seiten der Berliner Kulturszene.

Wer für seine Arbeit keine Rechnungen stellt, wird für seine Arbeit auch nicht bezahlt.

So einfach ist das und diese Binse trifft den Kern des Missverständnisses, was Kulturarbeit tatsächlich leistet.

Das scheinbar Selbstverständliche, das immer irgendwie da ist, wird nicht als Leistung, sondern als Selbstverständlichkeit wahrgenommen. Darin unterscheidet sich die Kultur nicht von der äußeren Sicherheit, die auf einmal mehr Geld kostet, seit sie fehlt, weil Russland die Ukraine überfallen hat.

Fehlte von heute auf morgen die gesamte Berliner Kultur, würde allen Bürgern und Bürgerinnen der Hauptstadt deutlich vor Augen geführt, welchen Wirtschaftseffekt wir durch unsere kreative Arbeit erzielen. Und dass es absolut gerechtfertigt ist, unsere Leistungen in Rechnung zu stellen.

Dafür benötigen wir einen unbefristeten Kulturstreik in Berlin!

Allein ein umfassender Streik, der alle Sparten der Berliner Kultur einschließt, sämtliche Theater, Museen, Opern, Philharmonie, Tanzensembles, Bibliotheken, Galerien, Konzerthallen, Kinos, Festivals, Musikclubs, Performancekünstler, Lichtgestalter, DJs und DJanes, Bands, Autoren und Autorinnen, Maler und Malerinnen, Filmproduzenten und Filmproduzentinnen, Architekten und Architektinnen, Bildhauer und Bildhauerinnen und die vielen anderen Kreativen, die das Image Berlins prägen, die mit ihren Werken die Stadt Berlin über Jahrzehnte zu einem der beliebtesten Reiseziele weltweit gemacht haben, könnte die Öffentlichkeit aufklären. Babelsberg sei an dieser Stelle ebenfalls herzlich mit eingeschlossen.

Wir alle zusammen haben erreicht, dass Berlin auch von zahlreichen Fachkräften als attraktiver, multikultureller Standort für den eigenen Arbeitsplatz wahrgenommen wird. Berlin gilt als lebendige Stadt, in der sich rund um die Uhr Kultur erleben lässt.

Wir haben erreicht, dass die Kassen der Hotels, der Bars, der Restaurants, der Deutschen Bahn, der Fluggesellschaften, des BER, des Nahverkehrs BVG, der Busunternehmen, der Shopping Malls, Diskotheken und Andenkenläden, der Späties und Tankstellen, der Bordelle und Massagesalons und der Dealer und sonstiger Händler gefüllt werden, und damit viele Berliner und Berlinerinnen in Lohn und Brot stehen.

Nur durch einen Kulturstreik werden diese Unternehmen erkennen, welche Bedeutung wir für ihr Business haben. Ohne einen Streik werden wir auch in Zukunft als Gratisdienstleister und Gratiswerbetreibende missbraucht werden.

Vom ersten Streiktag an werden ihre Bilanzen brutale Verluste zu verzeichnen haben, aber erst dann werden sie dazu bereit sein, mit uns zusammen auf die Straße zu gehen.

Diese neue Sicht auf die vorherrschende Struktur der Kulturförderung in Berlin werden bestimmt nicht von denen geteilt, die über die Vergabe der Fördermittel entscheiden. Weder die zuvorderst Begünstigten noch die politisch Verantwortlichen werden diesen Streik unterstützen. Sobald ihre Kultureinrichtungen halbwegs gesichert sind, werden sie sich nicht mehr mit den unabhängigen Kulturschaffenden solidarisieren, die ihre Leistungen für die Stadt Berlin genauso berechtigt in Rechnung stellen können.

Die Höhe ihrer Subventionen könnten ja andere Kulturschaffende dazu ermuntern, vergleichbare Beträge zu fordern. Aber ohne ein bisschen Widerstand gegen die Sparmaßnahmen kommen sie auch nicht aus. Ein paar nette, spaßige Aktionen dürfen schon sein. Dafür finden sich Clowns, die den Protest wie ein „Umsonst und Draußen“ Festival aussehen lassen. Das ist "einvernehmlicher Widerstand" und so wirkungsvoll wie Mottoficken a la "Make Love not War".

Nach dem Rücktritt von Joe Cialo hat die designierte Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson sich bereits beliebt gemacht, um das Problem der Finanzierung der Berliner Kultur möglichst geräuschlos über die Bühne zu schieben.

Scheinbar stellt sie sich auf die Seite der Kulturschaffenden, indem sie rhetorisch geschickt weitere Kürzungen für die kommenden Jahre ablehnt. Die 130 Millionen Kürzungen sind mit ihrem visionär-hypothetischen „Blick in die Zukunft“ kein Thema mehr, und sie positioniert sich einvernehmlich.

Bravo, ein rhetorisches Meisterstück der Politik!

Die tatsächliche Lage der Mehrheit der Berliner Kulturschaffenden gerät im Schatten solcher Manöver aus dem Blickfeld. Die bislang gering, oder gar nicht geförderten Sparten der Hauptstadtkultur spielen keine Rolle in dieser Vision von der Zukunft Berlins. Dabei schrumpfte gerade in den letzten Jahren die freie und unabhängige Kulturszene in Berlin, nicht zuletzt aufgrund von gestiegenen Mieten und Lebenshaltungskosten. Berühmte Kultureinrichtungen wie das „Mensch Meier“ und viele andere Clubs und Spielstätten mussten schließen.

Um den tatsächlichen Schaden für Berlin realistisch zu beziffern, müssen die Beträge sämtlicher Rechnungen addiert werden.

Vergleicht man einmal den weltweiten Ruf des Kulturtempels Berghain mit dem internationalen Image des Kulturtempels Friedrichstadtpalast, brauchen sich beide nicht voreinander zu verstecken. Ähnlich ließen sich viele ähnliche Vergleiche ziehen. Eine Neubewertung der unabhängigen Berliner Kultureinrichtungen ist dringend erforderlich.

Natürlich kann sich das Berghain seine DJs leichter leisten als der Friedrichstadtpalast sein Ensemble und seine Bühnengewerke. Es ist unbestritten, dass die Ensembles und Orchester Berlins einen ungeheuren Aufwand betreiben müssen, um im internationalen Vergleich zu bestehen. Auch für sie darf es keine Einsparungen geben, denn keine Sparte der Kultur darf gegen eine andere ausgespielt werden.

Die Bedarfe müssen vollumfänglich erfasst und endlich fair beglichen werden. Dafür müssen zum Ende des Streiks neutrale Schlichter und Schlichterinnen die für Berlin zukunftsweisende Debatte führen. Für alle, die ihre Kulturarbeit über Jahre bewiesen haben, müssen angemessene und faire Lohnangebote entstehen.

Es geht darum, wie Berlin in zehn Jahren aussehen soll: Eine gesichtslose Touristenboutique oder eine lebendige Kulturstadt mit eigenem Pulsschlag?

Der sogenannten Geberseite muss endlich klarwerden, dass sie defacto eine harsch ausbeutende Nehmerseite ist. Und der sogenannten Nehmerseite muss endlich bewusst werden, dass sie mächtiger ist als sie scheint.

Berlin ist für Kulturschaffende keine billige Spielwiese mehr, sondern ein teures Pflaster. Auch diese Entwicklung muss berücksichtigt werden. Flächen und Liegenschaften müssen für Festivals, Probenräume und Ateliers bereitgestellt werden!

Die bisherigen Strukturen der Berliner Kulturförderung sind veraltet und weder fair noch gerecht. Wer ohne eigene Dynastie oder Lobbyisten dasteht, liest bei Antragstellung für Projektgelder die bekannten Sätze des Kultursenats: „Förderung nach Haushaltslage“.

Welch Aufschrei würde erfolgen, würde bspw. Siemens seinen Angestellten „Bezahlung nach Auftragslage“ anbieten?

Ein unbefristeter Kulturstreik kann erreichen, dass Reisen nach Berlin kurzfristig unattraktiv werden: Tickets gelten nicht mehr, Konzerthallen bleiben geschlossen, Philharmonie, Literaturhäuser, Kinos, Buchläden, Theater, Tanzensembles und Opern sind dicht und die DJs legen in den Clubs nicht mehr auf. Bibliotheken, Ton- und Filmstudios arbeiten nicht, keine Festivals, Dreharbeiten werden verschoben, Museen und Galerien bieten zur Besichtigung verschlossene Pforten, Straßenmusiker bleiben stumm.

Die Hauptstadt wie in den Zeiten der Pandemie, das würde weltweit Aufmerksamkeit erregen!

Ein Denkzettel, der eine lange Liste zur Begründung hat, denn dieser Kulturstreik kämpfte damit weltweit für eine faire Anerkennung von Kulturarbeit. Für den Wandel im öffentlichen Bewusstsein dahin, endlich zu begreifen, was Kunst und Kultur für die Metropolen leisten.

Dass wir nicht um Almosen betteln, sondern lediglich unseren Arbeitslohn einfordern!

Wer diesen Bewusstseinswandel blockiert, muss sich eines Tages die Frage gefallen lassen, warum Kulturbegeisterte in der ganzen Welt Berlin meiden. Diejenigen müssen erklären, warum über Jahrzehnte gewachsene Fähigkeiten und Talente verdrängt wurden und durch Gastspielbühnen und Touristennepp nicht ersetzt werden konnten.

Ein unbefristeter Kulturstreik wäre auch eine Chance, die verkrustete Fragmentierung des Berliner Kulturlebens mit seinen Ost-West Rivalitäten, überkommenen Erbhöfen und hermetischen Kultursektoren aufzusprengen.

In den 80er und 90er Jahren waren die Kultureinrichtungen noch durchlässig, heute erscheinen viele hermetisch abgeschottet wie eine Sekte.

Offenheit und Durchlässigkeit sind aber Voraussetzung für eine Berliner Kultur, die sich im internationalen Vergleich durch unverwechselbare Originalität auszeichnet. Nachahmen und Importieren können viele, aber Originelles entsteht nur im Zusammenspiel zwischen innovativer Subkultur und lokaler Präsentation.

Berlin braucht für seine Zukunft eine Kulturgewerkschaft, die den Nutznießern der Kulturarbeit eine gerechte Kultursteuer abtrotzt. Deren Erträge mögen dann in Zukunft fair verteilt werden!

Volker Lüdecke

 

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